Update Aschenputtel

Jugendtanzprojekt zu Prokofjews „Cinderella“ mit pvc-Choreograf Gary Joplin

Von Leonore Welzin, Tanznetz.de, 29.06.2010

Aschenputtel, die Geschichte vom bettelarmen Mädchen, das von der Stiefmutter zum Putzen verdonnert wird, während die beiden eigenen Töchter herausgeputzt werden, um auf dem Heiratsmarkt ihren Rockefeller alias Königssohn zu angeln, ist Ausgangspunkt des Heidelberger Jugendtanzprojekts. Der pvc-Tänzer und Choreograf Gary Joplin aktualisiert die Mär vom geglückten Aufstieg, das Premierenpublikum war hin und weg von der Inszenierung zur Ballettmusik „Cinderella“ von Sergej Prokofjew.

Cinderella kommt von der Schule nach Hause. Während ihre beiden Stiefschwestern vor dem Spiegel stehen und dabei sind, eine Pyjamaparty zu planen, möchte sie lieber alleine sein, Graffitis entwerfen und als Sprayer durch die Stadt ziehen. Dabei trifft sie in einer stillgelegten U-Bahn-Station auf eine Gruppe leichenbleicher Nachtschwärmer: Vampire, deren Anführer der Prinz ist. Der aufgetakelten Stiefmama gefällt der Umgang ganz und gar nicht. Bewaffnet mit Kreuzen zieht die Pyjamaparty gegen die Underdogs zu Felde. Hysterie und christliche Symbolik kontert die Vampirfraktion mit ausgestreckten Armen und hypnotischem Blick.

Unterstützt von der Tanzdozentin Emma-Louise Jordan holt Joplin die 23 Teenager bei Disco- und Breakdance ab, Purzelbäume, Radschlagen, Streck- und Dehnübungen sind ebenso willkommenes Bewegungsmaterial wie Defilieren, Trippeln und kleine Sprünge. Aufgepeppt mit einstudierten Schrittfolgen, viel Action (Kissenschlacht, Rauferei mit Spraydosen) und gut gebauten Bildern - wie ein Alptraumtanz mit Pumps an Angelschnüren oder ein mitternächtlicher Ausflug entlang der rückwärtigen Wand aus Stangen, Rohren und Öffnungen - wird daraus ein kurzweiliges Spektakel. Respekt vor den Amateuren, die mit professionellem Rückhalt seitens Choreografie, Dramaturgie, Ausstattung und Regie das Stück in nur drei Monaten erarbeitet haben.

Jede Aschenputtel-Geschichte ist anders, und auch Prokofjew hat seine eigene Version gefunden. Gewagte Harmonik, bohrende Rhythmik, Dissonanzen und ungewohnte Akkordkombinationen an der Grenze der Tonalität entsprechen den ideologischen Widersprüchen, die den Komponisten in der Entstehungszeit (1940-1945) aufreiben. Von leiser Resignation durchzogen, entwickelt sein Spätwerk eine wilde Motorik, die, von Nikolaus Reinke für ein reduziertes Orchester arrangiert, streckenweise wie Filmmusik klingt. Hervorragend das Philharmonische Orchester unter Leitung von Ivo Hentschel, das virtuos musikalische Stimmungen entwickelt, sich bis auf ein begleitendes Perkussionsinstrument zurück nehmen kann, wenn eine Sängerin und einem E-Gitarrist den Blues haben oder die Szene rocken.

Als theaterpädagogischer Beitrag zur kulturellen Bildung ist diese Koproduktion des Heidelberger Theaters, der Tanzkompanie pvc, des Philharmonischen Orchesters mit dem Haus der Jugend vorbildlich – dennoch bleiben viele Fragen offen. Rechtfertigen drei Vorstellungen den (finanziellen) Aufwand? Was hat die Geschichte mit dem Leben, den Problemen, den Zukunftshoffnungen der Jugendlichen zu tun? Ist es womöglich ein Alibiprojekt?

© Gary Joplin