Fischen ohne Helm

Von Marion Klötzer, Badische Zeitung, 18. Oktober, 2008

So zoffen sich nur Geschwister

„Skurriles Spektakel voller Emotionen, grandioser Komik, atemberaubender Kraft und Präzision...mit der zweiten Produktion hat sich die junge Kompanie selbst übertroffen“.

„Fischen ohne Helm“, da denkt man doch gleich an den blöden Spruch mit dem „Fisch ohne Fahrrad“. Dabei gibt es im gleichnamigen Stück der Gruppe HeadFeedHands jede Menge Männer, keinen Fisch, dafür eine Badewanne. Mit ihrer zweiten Produktion hat sich die junge Kompanie jetzt selbst übertroffen: Wieder präsentierten Marion Dieterle, Günter Klingler, Emmeran Heringer, Florian Patschovsky und Tim Behren ganz im Sinne des Nouveau Cirque ein turbulente Mischung aus Tanz, Artistik, Theater und Jonglage im Freiburger E-Werk, diese mal aber noch origineller und vielfältiger (Regie und Choreografie: Gary Joplin).

Das Thema hat es ja auch in sich, schließlich ist Familientreffen angesagt. Nicht nur wegen des großgemusterten Bühnenhintergrunds (Stefanie Haider, Emmeran Heringer) wird einem da ganz blümerant zumute, wenn aus der quietschenden Luke eines schrägen Holzaufbaus immer neue Gepäckstücke und Menschen rutschen: Fünf Geschwister, fünf unterschiedliche Typen, eine gemeinsame Vergangenheit. Kaum hat man sich beschnüffelt, wird auch schon um die besten Plätze in der Badewanne gestritten, man blödelt, dominiert, nervt und tröstet sich gegenseitig. Schnell fallen die Erwachsenenhüllen, schälen sich in Solos, Duos oder Gruppenszenen kindliche Marotten und uralte Beziehungsmuster heraus. Denn hier existiert zwar jede Menge Nähe – Harmonie ist aber was ganz anderes...

Diese Art Zündstoff gibt es nur unter Geschwister – und deswegen ist auch so witzig, was hier ohne Wort, dafür aber mit vollem Körpereinsatz auf die Bühne kommt: Solidarisches Publikumsgelächter, wenn die herrische, große Schwester per Klopapier zur mundtoten Mumie gewickelt wird, wenn man in halsbrecherischen Sprüngen nach Büchern und Zahnbürsten hechtet, wenn die ganze, zappelige Bagage nicht mal vor dem Fernseher still sitzen kann, sondern sich in immer neue Formationen schiebt und drängelt. Urkomisch ist das, sehr verspielt, und stellenweise von atemberaubender Kraft und Präzision. Dabei wechselt in ein und derselben Szene im Turbotempo auch das Genre: Slapstick wird zu Artistik, Clownerie kippt in surreale Stummfilm-Ästhetik, poetische Kontaktimprovisationen entwickeln sich zu wilder Jonglage und andersrum. Auslöser sind aber immer kleine und große Emotionen, stimmungsvoll verstärkt von Musik und Licht.

Wer Abkühlung oder Trost braucht, verzieht sich in die Badewanne, während die anderen schon wieder ungeduldig Schlange stehen. Denn seine Ruhe – die hat man hier nie. In der zweiten, ernsteren Hälfte gibt es dann auch zu viele Kampfe und Gerangel, manches ist etwas langatmig und absehbar, das Ende ziemlich unvermittelt. Wirklich schlimm ist das nicht, denn die Idee dieses Genre-Mixes bleibt hinreißend und Energielevel und Können der jungen Körperkünstler sind so hoch, das einem schon mal Mund und Augen vor Staunen offen stehen können.

© Gary Joplin