HOMO FABER, Theater Pro
Von Heidi Ossenberg, Badische Zeitung, 1. Dezember, 2009
Der Rechenfehler eines Mathematikers
Ralf Buron inszeniert "Homo Faber" im Freiburger E-Werk
Walter Faber glaubt nicht an Fügung, allenfalls an Zufälle, er mag keine Romane, mag dafür Mathematik, er kann einen Sonnenuntergang nicht als Ereignis feiern, kann ihn nur naturwissenschaftlich erklären. Dieser Faber hat ein unumstößliches Bild von der Welt, aber auch von sich selbst und seinen Mitmenschen.
Die tragische Geschichte des Technikers Walter Faber ist bekannt. Der Schweizer Dramatiker Max Frisch veröffentlichte sie vor mehr als 50 Jahren, Generationen von Schülern haben sie studiert. Regisseur Ralf Buron hat in seiner Inszenierung "Homo Faber – mehr als ein Bericht", die jetzt im Freiburger E-Werk Premiere hatte, Frischs Identitäts-Thema verbildlicht. Er hat die Bühne, die längstens ausschließlich Fabers Bühne ist, in die Mitte des großen Saals gestellt und von zwei riesigen Leinwänden begrenzt. Auf diesen Leinwänden können die Zuschauer – auf zwei Blöcke verteilt – Fabers Welt von ihm selbst gefilmt als Sequenzen erleben. Der Techniker, souverän gespielt von Herbert Schäfer, ist in der Welt unterwegs – rast durch Tunnel, braust durch Metropolen oder gondelt auf Wasserstraßen. Als das Flugzeug abstürzt, in dem Faber den Bruder seines verschollenen Jugendfreundes trifft, ist erstmals keine Bewegung mehr in den Bildern;
die Wüste ist kein Ort, an dem man herumrennt. Doch Hetze und Hektik werden bereits wieder aufgenommen als Faber nach New York zurückkehrt; der Absturz hat kein Innehalten bewirkt.
Das schafft erst die Begegnung mit Elisabeth, der jungen Frau auf dem Schiff, die Buron nicht mit einer Schauspielerin besetzt hat, sondern originellerweise mit der Tänzerin Stephanie Scheubeck. Krachend fallen nun die Leinwände auf den Boden – damit stürzt zugleich auch Fabers Leben, das nur ein Bild von einem Leben war, ein; der Fokus der Inszenierung liegt nun wieder auf der Bühne. Die junge Frau, der Kenner der Geschichte weiß es längst, ist Fabers Tochter Elisabeth. Die beiden erkennen einander nicht, werden ein Paar. Weniger die inzestuöse Liebesgeschichte interessiert Regisseur Buron, es ist vielmehr der Zusammenprall der beiden so unterschiedlichen Welten:
Der alternde Mann und die junge Frau, der emotionslose Techniker und die temperamentvolle Lebensentdeckerin, der Schauspieler und die Tänzerin. In einem packenden Tanz – mal Solo, mal Duo – steht nicht die Erotik dieses ungleichen Paares im Vordergrund, sondern ihr Kräftemessen, ein Machtspiel. Elisabeth braucht kein Hilfsmittel wie eine Filmkamera, um das Leben zu sehen:
Sie ist das Leben.
Als Faber das erkennt, ist es eigentlich schon zu spät. Elisabeth stirbt und zu ihrer Mutter, Fabers Jugendliebe Hanna (mit eindrücklicher Bühnenpräsenz: Marie-Louise Gutteck) findet der verzweifelt auf sich Geworfene keinen Zugang. Wie kann es sein, dass ausgerechnet er, der Mathematiker, nicht korrekt hat ausrechnen können, dass Elisabeth seine Tochter sein muss! Nun, mit dem konfrontiert, was von seinem Leben übrig ist, verändert sich Fabers Sprache. Sie wird lebendiger, blumiger. Dennoch bleibt die Erkenntnis: "Es stimmt nichts!"
Lang anhaltender Applaus für die stimmige Inszenierung und die feine Darstellerleistung.
© Gary Joplin