Schwitzkasten, ein Spiel mit der Bewegung
"Schwitzkasten": Ein Projekt des Theaters Freiburg mit 23 Jugendlichen mit und ohne Handicaps.
Von Marion Klötzer, Badischer Zeitung, 14.Juni, 2011
Inklusionsprojekte haben ja bei allem guten Willen oft etwas Bemühtes: Statt Kunst gibt’s Betroffenheitskultur, statt der Suche nach individuellem Ausdruck bäckt man kleine Brötchen für alle. Nicht so bei "Schwitzkasten", einem Tanzprojekt des Theaters Freiburg mit 23 Jugendlichen
mit und ohne Handicaps, die seit Januar an der Esther-Weber-Schule in Emmendingen gemeinsam improvisierten, tanzten und sich kennen lernten. Die knapp vierzigminütige Produktion wurde jetzt im ausverkauften Werkraum präsentiert und bezauberte nicht nur durch eine originelle Inszenierung, sondern auch durch große Leichtigkeit und ein breites Bewegungsspektrum (Künstlerische Leitung: Gary Joplin, Emma-Louise Jordan).
Doch erst einmal wird eine gemeinsame Linie mit Klebeband auf dem weißen Boden markiert:
Dicht an dicht stehen sie im Rollstuhl oder auf Strümpfen, lassen sehr langsam, fast träumerisch, fließende Bewegungsabläufe entstehen, die sich Wellen fortsetzen: Raumgreifend bei den einen, klein und konzentriert bei den anderen – seine Grenzen lotet dabei jeder der Akteure für sich selbst aus. Ein schönes Bild: eine Gruppe, die als harmonische Einheit agiert und doch ganz offensichtlich sehr unterschiedlich ist. Wenig später irrlichtern Taschenlampen im orangefarbenen Halbdunkel über zwei hereingerollte Wurfzelte, eine Videokamera filmt die Menschen in deren Innerem und wirft sie als unscharfe Schwarz-Weiß-Aufnahmen an die Wand (Fotos und Projektionen: Britt Schilling), um auch das Publikum in den Fokus zu nehmen.
Ein Spiel mit dem Blick: Wer betrachtet hier wen? Wer ist Innen und wer Außen? Schnell geschnitten reiht sich Szene an Szene: Aus einem mitreißenden Klatschrhythmus entwickeln sich Kontaktimprovisationen zwischen ungleichen Paaren, Solos schälen sich aus Synchronchoreografien, aus dem Off werden Träume oder Erinnerungen an Kinderspiele eingesprochen, die musikalischen Impulse reichen von Zigeunerjazz über Funk bis zu elektronischem Laserschwert-Geschwirr.
Dabei kommt jeder auf seine Kosten, jeder darf zeigen, was er kann: Es gibt herausragende Tänzer, doch ausdrucksstark und dicht ist auch das scheinbar Unperfekte und Begrenzte. Dass beide Pole sich immer wieder ganz selbstverständlich ergänzen und verzahnen, macht den Charme und die Kraft dieser Inszenierung aus. Denn hier steht ganz elementar der Körper mit seinen Möglichkeiten und seiner Bewegungslust im Mittelpunkt, das gängige Tanzdiktat des Perfekten und Schönen wird zugunsten des individuellen Repertoires aufgebrochen. Das berührt, lässt Prozess und Weiterentwicklung ahnen – und macht Lust auf mehr: Ein Folgeprojekt ist schon in Planung.
© Gary Joplin