ENDSTATION SEHNSUCHT, Theater Heidelberg
Von Heribert Vogt, Rhein-Neckar-Zeitung, 25. Mai 2010
n der schwülen Hitze von New Orleans braut sich etwas zusammen, das sich mit Getöse in einer gewalttätigen Orgie aus Blut, Schweiß, Tränen und Sperma entlädt … Sebastian Schugs Inszenierung von Tennessee Williams‘ in den 40er Jahren spielendem Bühnenklassiker „Endstation Sehnsucht“ transportiert zunächst eine brutale Provokation gegenüber aller Kultur und Zivilisation... Auf engstem Raum kommt es hier zum Nahkampf der unterschiedlichen Welten… Simon Bauer gibt in der Rolle des Stanley Kowalski sein Heidelberger Debüt. Der Schauspieler zeichnet einen Mini-Platzhirsch, der in seiner sinnlichen Radikalität an Brechts Baal, in seiner tobenden Gestik an Joe Cocker erinnert.
Wenigstens in den eigenen vier Wänden will Stanley das Alphatier sein und hält diese Rangfolge in seinem Revier saufend, schlagend, fickend aufrecht … In dieses mühsam behauptete Refugium bricht Blanche ein, den ganzen verschwundenen Reichtum ihrer Familie im psychologischen Gepäck, das sich als wahrer Sprengsatz erweisen wird. Ute Baggeröhr spielt die einstige Südstaatenschönheit als heruntergekommene Dame von Welt mit zickigen wie girliehaften Anflügen, die zwischen Hoffnung und Katastrophe gleichwohl immer wieder hellsichtig den eigenen unaufhaltsamen Abstieg wahrnimmt. Völlig entwurzelt, findet die stets exaltiert kultiviert auftretende Blanche nirgendwo mehr Halt und befindet sich im freien Fall … Auch die von Monika Wiedemer dargestellte Schwester Stella offenbart sich als gemischter Charakter.
Diese so sinnenpralle wie selbstgewisse Frau hat das sinkende Familienschiff jedoch rechtzeitig verlassen und sich in das umtoste, aber auch sexuelles Glück bereithaltende Rettungsboot Kowalskis gerettet … Wenn dieser packenden dreistündigen Inszenierung eine Aktualität zukommt, dann vor allem in der herausfordernden desillusionierenden Weltsicht des Stücks.
Denn sie fasst das Leben als materialistisch-sinnlichen Prozess, der mit seiner erschreckenden Faszination in den heutigen virtuellen Welten zu verschwinden droht … Sehr starker Applaus.
© Gary Joplin